Macht im System (B00EUB4VUK) by Niklas Luhmann
Autor:Niklas Luhmann [Luhmann, Niklas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2013-09-16T04:00:00+00:00
VIII. Zur Theorie des politischen Systems
In der Politikwissenschaft herrscht ein alter Streit, ob Politik ihrem Wesen nach durch Macht definiert werden könne.[152] Sicher ist die Unbeendbarkeit dieser Diskussion teilweise darauf zurückzuführen, daß das Wesen des Wesens unbekannt geblieben ist und man daher auch nicht sagen kann, wieweit der Machtbegriff Erscheinungen müsse erklären können, um als deren »Wesen« gelten zu können. Wenn man die Kategorien der Handlungstheorie »Zweck« und »Mittel« zugrunde legt, kann man zwar Macht als den Zweck oder als das Mittel des spezifisch politischen Handelns bezeichnen, aber es bleibt dann offen, was im ersten Falle die Mittel sind, im anderen der Zweck des politischen Handelns ist.[153] Bei einer handlungstheoretischen Grundlegung ist mithin die Mitverwendung anderer, komplementärer Wertorientierungen unvermeidlich. Sie kann das persönliche Engagement der Ethik abzuschütteln versuchen, nicht aber ihre Weise, Komplexität zu reduzieren.[154]
Mit dem Übergang von handlungstheoretischer zu systemtheoretischer Grundlegung ergibt sich, wenn er konsequent vollzogen wird, eine andersartige Verteilung von Schwierigkeiten.[155] Die Systemtheorie ersetzt den Wesensbegriff als Kriterium durch den Funktionsbegriff, fragt also nach der Funktion politischer Systeme. In dieser Frage steckt nicht mehr die alte Diskrepanz von Wesen und voller Wirklichkeit, sondern eine neue Diskrepanz von Funktion und Struktur.
Funktion im abstraktesten Sinne ist ein Gesichtspunkt, unter dem Wirkliches vergleichbar ist und der zugleich die Vergleichbarkeit einschränkt auf das, was funktional äquivalent ist.[156] Die Funktion des politischen Systems ist demnach dasjenige Bezugsproblem, das alle politischen Systeme lösen – im Unterschied etwa zu Systemen der Wirtschaft, der Religion, der Wissenschaft, der Krankenpflege, der Ausbildung usw. Wie immer man dieses Problem definieren will – wir kommen darauf noch zurück –, muß es stets mit der Klasse funktional äquivalenter Problemlösungen deckungsgleich sein. Es darf nichts »Politisches« geben, was außerhalb bleibt und damit, obwohl politisch, unvergleichbar wäre.
Das führt vor die Frage, ob die politische Funktion wirklich immer nur durch speziell dafür geschaffene und entsprechend strukturierte politische Systeme erfüllt wird, und diese Frage muß mit nein beantwortet werden.[157] Es gibt, die ethnologische Forschung läßt da keinen Zweifel zu, Gesellschaften, die nur gelegentlich und nur im Zusammenhang mit anderen, namentlich religiösen und wirtschaftlichen Funktionen, politisch aktiv werden.[158] Wählt man einen Bezugspunkt, von dem aus man alle politischen Systeme vergleichen kann, erfaßt man mehr als nur politische Systeme.
Diesem Dilemma von Funktion und Struktur entkommt die funktionale Systemtheorie durch Annahme einer evolutionären Perspektive. Der neu aufgelegte, funktional strukturelle Evolutionismus[159] geht davon aus, daß – zumindest bei ungleichem zivilisatorischem Entwicklungsstand – komplexere, funktional differenzierte Systeme bestandsfähiger sind als einfachere Systeme, so daß, wenn einmal menschliche Gesellschaften entstehen, die verschiedene Funktionen erfüllen, die Tendenz aufkommt, das soziale System der Gesellschaft nach diesen Funktionen strukturell zu differenzieren, also für Religion, Wirtschaft, Erziehung, Forschung, Krankenpflege, Erholung usw. – und eben auch für Politik und Verwaltung funktional-spezifische Teilsysteme zu bilden.[160] Tatsächlich läßt sich denn auch im Laufe der zivilisatorischen Entwicklung ein (keineswegs zielstrebiges oder kontinuierliches und mit vielen Rückentwicklungen verlaufendes) Zunehmen der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung von politischen Systemen besonderer Art beobachten, zunächst in bezug auf einzelne Handlungen oder Situationen, dann in bezug auf bestimmte Rollen und schließlich sogar in bezug auf Verhaltensstandards wie Zwecke, Normen, Rationalitätskriterien.
Download
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.
Lass uns miteinander sprechen by Ulf Lubienetzki & Heidrun Schüler-Lubienetzki(849)
Die Wahrheit schafft sich ab. Wie Fake News Politik machen by Romy Jaster & David Lanius(825)
Quantitative und Qualitative Forschung im Vergleich by Angela Wichmann(822)
Disziplinmanagement in der Schulklasse by Keller Gustav(812)
Kulturmarketing by Armin Klein(804)
A Comprehensive Russian Grammar by Wade Terence; Gillespie David; Gural Svetlana(790)
Die Lüge der digitalen Bildung by Gerald Lembke Ingo Leipner(779)
Das Gespenst des Populismus by Bernd Stegemann(767)
Macht im System (B00EUB4VUK) by Niklas Luhmann(751)
verheimlicht - vertuscht - vergessen 2018: Was 2017 nicht in der Zeitung stand (German Edition) by Gerhard Wisnewski(750)
verheimlicht vertuscht vergessen: Was 2014 nicht in der Zeitung stand (German Edition) by Gerhard Wisnewski(743)
Kursbuch 180 (B00QTRY7V6) by Armin Nassehi (Hg) & Peter Felixberger (Hg)(733)
Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition) by Fuchs Christian & Goetz John(733)
Meinung Macht Manipulation by Michael Steinbrecher Günther Rager (Hg.)(730)
Die Festung. by Buchheim Lothar-Günther(726)
Kursbuch 181 (B00UARN4EC) by Armin Nassehi (Hg.) & Peter Felixberger (Hg.)(704)
Embodied Communication: Kommunikation beginnt im Körper, nicht im Kopf by Storch Maja & Tschacher Wolfgang(703)